Der Prozess – The Trial
Philip Glass
Österreichische Erstaufführung / Kammeroper in zwei Akten Libretto von Christopher Hampton nach Franz Kafkas Werkfragment „Der Prozess“ / In englischer Originalsprache mit deutschen Übertiteln
Inhalt
Die Ohnmacht, die der Protagonist Josef K. im Angesicht der Absurdität, der Ungerechtigkeit und der Korruptheit des Gerichts und seiner gesamten Umwelt erfährt, bildet die beklemmende Essenz von Franz Kafkas Werkfragment „Der Prozess“. Der Autor schrieb in den Jahren 1914 und 1915 zunächst sehr zügig daran, litt jedoch schon bald an einer ausweglosen Schaffensblockade, die es Kafka unmöglich machte, das Werk zu vollenden, das autobiographisch eine persönliche Krise des Künstlers widerspiegelt: Die Auflösung seiner Verlobung mit Felice Bauer empfand er als persönliche Anklage, die Aussprache, bei der Felice von ihrer Schwester und einer Freundin unterstützt wurde, glich für Kafka einem Gerichtshof, in dem er schuldlos verurteilt wurde und doch sein Leben normal weiterleben musste.
Die Wirklichkeit wird zum Albtraum – kafkaesk par excellence. Philip Glass kreierte aus diesem packenden Stoff zusammen mit dem Librettisten Christopher Hampton eine zweiaktige Kammeroper, die 2014 in London uraufgeführt wurde. Glass’ Musik – weit weniger minimalistisch als in früheren Werken, mit längeren melodischen Phrasen im tonalen Rahmen, die zusammen mit harten Rhythmen die Handlung dramatisieren – wirkt wie die perfekte Weiterführung der Emotionen und Gedanken der Figuren, dramatisch erzählt durch die zusätzliche Dimension der Klänge.
Philip Glass (*1937) wird wegen seiner frühen Werke wie „Einstein on the Beach“ – die Uraufführung 1976 wurde legendär durch Regisseur Robert Wilson in Szene gesetzt – zu den Vertretern der Minimal Music gezählt. Glass selbst sieht sich nicht in dieser Ästhetik, im Gegenteil: Durch die Kombination künstlerischer Ausdrucksformen habe er „den Neubeginn einer musikalischen Kunstrichtung“ erreicht.
Ausstatter Thomas Pekny schafft beklemmend kafkaeske Räume für die Inszenierung, die Carl Philip von Maldeghem übernimmt. Das Mozarteumorchester wird vom Ersten Kapellmeister, Robin Davis, in kammermusikalischer Besetzung angeführt. Im Laufe des Abends schlüpfen die acht Solisten des Opernensembles in 23 verschiedene Rollen.
Dauer: ca. 2 h 15 min / inkl. Pause
Pressestimmen
"Das Schöne an Philip Glass ist ja, dass man bei ihm schon vorher weiß, was man kriegt. "The Trial" nach Kafkas "Prozess" hatte nun seine österreichische Erstaufführung am Salzburger Landestheater, und kaum hebt die Musik an, fühlt sie sich vollkommen vertraut an, obwohl man sie noch nie gehört hat. Wer zu Glass geht, kriegt Glass, hier von Robin Davis und dem Mozarteumorchester Salzburg souverän gespielt.
Und kriegt in diesem Fall auch eine vom Librettisten Christopher Hampton sauber heruntererzählte Version von Kafkas Romanfragment, bei deren distanzierter Souveränität ein wenig verblüfft, dass K. am Ende doch hingerichtet wird - da schreit die Musik auch einmal. Ansonsten treibt einen die Musik durch zehn Szenen, in sich monochrom, aber jede in einem anderen musikalischen Farbton gehalten. Das läuft sehr gut durch.
Carl Philip von Maldeghem, Intendant und Regisseur, will gar nicht an der geschlossenen Form dieser Oper rühren, lässt sich von Thomas Pekny ein Raumballett aus Schiebetüren bauen, in dessen Zentrum sich ein leuchtender Sitzbalken wie ein Uhrzeiger dreht. Die Kostüme von Alois Dollhäubl folgen mit leicht operettenhafter Stilisierung der Idee der Distanziertheit, und so könnte man völlig folgenlos aus der Geschichte vom usurpatorischen Rechtssystem herauskommen, gäbe es nicht Anne-Fleur Werner und Katie Coventry. Sie singen und spielen die schon bei Kafka seltsam irrlichternden Fräuleins, verleihen ihnen nun mit lächelnder Gier die psychische Brüchigkeit zweier Menschen, bei denen die Gewalt des Systems brutal angekommen ist. Da wird es dann spannend.“
"Es sind monochrome Schlaglichter auf eine kafkaeske Szenerie, die „The Trial“ im Salzburger Landestheater wirft: Aus Kafkas wohl bekanntestem Romanfragment „Der Prozess“ hat Philip Glass 2014 eine Kammeroper destilliert, die Hausherr Carl Philip von Maldeghem nun als österreichische Erstaufführung inszeniert hat. Ein eleganter Balanceakt zwischen Albtraum und Satire, der gelingt.
„Ich sehe meine Kammeropern als Neutronenbomben: Klein, aber mit furchtbarer Durchschlagskraft“, hatte der durchaus selbstbewusste Glass am Rande der Uraufführung 2014 beschieden. Die Feuerkraft dieser Bomben beschränkt sich allerdings bisweilen auf das Potenzial einer Wasserbombe. Nicht jedoch bei „The Trial“. Hier setzt der Komponist dramaturgische Akzente, unterbricht den für ihn charakteristischen fortwährenden Puls, findet für die zehn aus der Kafka-Vorlage destillierten Bilder durchaus eigene Schattierungen.
Und die Salzburger Fassung dieser zurecht weltweit erfolgreichen Kammeroper wird dem Anspruch gerecht. So dürfte Orson Welles‘ Filmadaption des Kafka-Stoffes für Bühnenbildner Thomas Pekny mit ihrer klaren, monochromen Linienführung Pate gestanden haben. Graue Wände tanzen aufeinander zu, bilden ein horizontales Labyrinth für die Protagonisten, während ein sich drehender weißer Riegel im Bühnenvordergrund mal als Barriere, dann wieder als Sitzgelegenheit oder letztlich Richtplatz dient. So elegant und streng sich das Bühnenbild präsentiert, so sehr arbeitet Maldeghem den bei Glass betonten Humor und satirischen Gehalt des symbolbefrachteten Werks heraus. Hier gelingt die Balance zwischen parodistischer Überzeichnung und dem Einbruch des Albtraums in die Realität.
Dass dieser Akt gelingt, liegt nicht zuletzt an der überwiegend starken Leistung des Salzburger Ensembles, an dessen Spitze Bariton George Humphreys eine stimmlich schnörkellose und textdeutliche Interpretation des unwissend vor den Mühlen seines Prozesses stehenden Josef K. abliefert.
Alles in allem ist „The Trial“, das Glass gemeinsam mit dem oscargekrönten Librettisten Christopher Hampton („Gefährliche Liebschaften“) erarbeitet hat, das fokussierte Destillat eines nur allzu bekannten, nur allzu aktuellen Werks der Weltliteratur. Und am Salzburger Landestheater wird dieses Brennglas mit großer Schärfe geschliffen.“
"Komponist Philip Glass gilt als Pionier der Minimal Music und Opern-Vielschreiber: 2014 nahm er sich Franz Kafkas "Prozess" vor, eine düstere Parabel auf den totalen Überwachungsstaat.
"Hier wird die Lüge zur Weltordnung gemacht!", schreit der Angeklagte Josef K. am Ende in den Saal: Wann wäre dieser Satz jemals zutreffender gewesen als heute, in den Zeiten von frei erfundenen Nachrichten, besser bekannt als Fake News und sogenannten "alternativen Wahrheiten", die vor ein paar Jahren noch als Blödsinn gegolten hätten? Niemand erwartet von diesem Josef K., dass er alles für wahr hält, es reicht den Machthabern, wenn er alles für notwendig hält. Doch daran scheitert er, muss er scheitern, wie jeder normale Mensch, und wird daher hingerichtet, ohne seine Ankläger und seine Richter jemals kennen gelernt zu haben.
Kafkas unvollendeten Roman "Der Process" aus dem Jahr 1914 schrieb die Geschichte zu Ende: Das Manuskript nahm das ganze, grausige 20. Jahrhundert vorweg, mit seinen Diktaturen, seinen Geheimdiensten, der gruseligen Mischung aus Gedankenpolizei und Schauprozessen. Die Welt wurde durch und durch "kafkaesk", nämlich alptraumhaft, unverständlich, irrational und ist es bis heute geblieben. Klar, ein großartiger, zeitloser Opernstoff, kann die Musik all das doch grundsätzlich bestens ausdrücken.
Immer wieder setzt er auf minimale, aber raffinierte rhythmische Verschiebungen, auf Klangteppiche, die sich für Laien eintönig anhören, für Musiker aber durchaus anspruchsvoll sind.
Bühnenbildner Thomas Pekny hatte ein paar Schiebetüren entworfen, die ins nirgendwo führen und eine teuflische, neonweiße Sitzbank, die sich immer wieder von alleine in kreisende Bewegung setzt, auch mal zusammen klappt und die Rädchen versinnbildlichen sollte, die hier zum Verderben der Angeklagten geräuschlos ineinander greifen. Im Hintergrund signalisierte ein Maschendrahtzaun Ausweglosigkeit, teils im gleißenden Gegenlicht.“
"Die Passion eines Angeklagten verstört seit 100 Jahren. Am Salzburger Landestheater wird aus Kafkas "Der Prozess" eine Oper.
Über knapp zwei Stunden reiner Spielzeit entfalten zwölf Musiker des Mozarteumorchesters unter der Leitung von Robin Davis einen transparenten Klangteppich, von Szenen zu Szene ändert sich dessen Charakter. Metrum, Instrumentation und Tempo passen sich der Situation an, in der sich Josef K. gerade befindet. George Humphreys verkörpert die Hauptfigur. Der Brite überzeugt nicht nur als souveräner „Native Singer“, er verfügt auch über eleganten Charme, der immer wieder ins leicht Arrogante kippt – ver4y british, und der Ambivalenz des Josef K. zuträglich.
Auch die meisten weiteren Rollen werden aus dem Ensemble besetzt – ein Beleg für die hohe Qualität der Landestheater-Opernsparte. Intendant Carl Philip von Maldeghem legt eine fokussierte Arbeit vor, die dem unaufgeregten Grundton der Oper entspricht.“
"Das Salzburger Landestheater zeigt als österreichische Erstaufführung Philip Glass‘ Oper „Der Prozess“ – eine hörens- und sehenswerte Produktion
Immer wieder spitzt der Komponist Szenen zu, macht damit nicht nur deren Ausweglosigkeit, sondern auch deren grotesken Witz deutlich. Genau das gelingt auch dem Regisseur der österreichischen Erstaufführung am Salzburger Landestheater Carl Philip von Maldeghem. Geschickt pendelt seine Inszenierung zwischen Realismus und Verfremdung, überlässt es damit letztlich dem Zuschauer, wieviel Realismus oder Phantastik er der Handlung beimessen will. Gesungen und gespielt wird das in Salzburg von einem jungen und ganz hervorragenden Ensemble. George Humphreys ist ein gutaussehender und kämpferischer K., der gerne flirtet und dabei praktischerweise auch noch viel von den Damen über seinen anstehenden Prozess erfährt. Die Damen sind mit Anne-Fleur Werner und Katie Coventry hinreißend besetzt, ebenso William Ferguson als Student, Prügler und Maler Titorelli. Und auch die Rollen der Wächters, des Advokats und des Onkels lassen mit Franz Supper, Raimundas Juzuitis, Jacob Scharfman und Michael Schober keine Wünsche offen. Jeder Sänger/Sängerin bis auf den der Titelrolle ist mehrfach besetzt.“
Audioeinführung
von Sara Abbasi
Besetzung
Musikalische Leitung
Robin Davis
Inszenierung
Carl Philip von Maldeghem
Kostüme
Alois Dollhäubl
Dramaturgie
Sara Abbasi
Josef K.
George Humphreys
Fräulein Bürstner / Leni
Anne-Fleur Werner
Hazel McBain
Frau Grubach / Frau des Gerichtsdieners
Katie Coventry
Student / Prügler / Titorelli
William Ferguson
Wächter 1 (Franz) / Kaufmann Block
Ks. Franz Supper
Untersuchungsrichter / Assistent / Advokat Huld
Raimundas Juzuitis
Wächter 2 (Willem) / Gerichtsdiener / Gefängniskaplan
Jacob Scharfman
Aufseher / Onkel Albert
Michael Schober
Orchester Mozarteumorchester Salzburg