Der ganz normale Wahnsinn

Ein Intendanten-(All-)Tag: Nachts gab es einen Feueralarm, ein Komponist möchte sein neuestes Werk vorstellen, Herr B. bittet dringend um einen Anruf, da ist eine Beschwerde, dass die Schwerhörigenanlage im Rang nicht funktioniert, die Noten für die Operette sind nach Auskunft des Orchesterwartes unleserlich, die Schauspielpremiere steht bevor, aber die Beleuchtungszeit scheint zu knapp. Außerdem muss dringend eine Tonaufnahme gemacht werden. Intendant und Kaufmännischer Direktor diskutieren den neuen Stellenplan.

Der Ballettdirektor hat Sorgen, dass hinter der Erkrankung der Prima­ballerina mehr als ein Brechdurchfall steckt. Der Gastspielort braucht dringend Pressematerial, auf Instagram postet eine Schauspielerin ihren Hund, die Grafikerin wartet auf heißen Kohlen auf den Text der Dramaturgin. Es kommt eine Anfrage für Festspielkarten herein. Die Vertriebssitzung beschließt eine neue Abo­kampagne. Der Regisseur für die Strauss-Oper stellt sein Konzept vor, der Ausstatter hat den Flug verpasst. Die Agentur des Tenors, der die Hauptrolle singt, bittet darum, ihn die erste Woche von den Proben zu befreien. Herr B. ruft wieder an. Die Dramaturgin hat den Text doch längst geschrieben, aber auf ein anderes Laufwerk gestellt. Der Dienstplan der Technik weist Überstunden auf, aber der Abteilungsleiter kann diese mit dem Feiertag nächste Woche begründen. Der Chefrequisiteur hat glänzende Augen, als er einen Pyro-Effekt für das Schauspiel vorstellt, braucht aber ein höheres Budget. Die Chorsängerin möchte Urlaub für die Hochzeit ihrer Schwester.

Herr B erhält seinen Anruf, Frau T ist nicht erreichbar. Verleger X möchte das neueste Werk empfehlen. Ein anderer Chorsänger will jetzt auch Urlaub, nur so für einen Gastauftritt. Die Arbeits­medizinerin bittet um eine Besprechung zum Thema „Fit für die Kunst“. Die Frankiermaschine ist repariert, aber die Aus­sendung an den Kinderchor hat sich verzögert. Der Chorleiter gründet eine WhatsApp-Gruppe zum Thema. Die Konzeption der neuen Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat kommt voran. Die Verwaltung braucht die Budgetdeckung für die Kinderhonorare in „The Sound of Music“. Die Maskenabteilung möchte ein Okay für die neuen Perücken. Im Logenfoyer gibt es einen Empfang für Sponsoren.

Und dann – nach einem Tag voller Zirkus – geschieht das Theater­wunder: Alle Schauspieler sind da, um 19.30 Uhr macht die Inspizientin ihre Ansage und der Vorhang öffnet sich. Auf der Bühne wird geliebt und gelitten, neues Spiel trifft neues Glück, alles ist auf die Vorstellung fokussiert. Das Publikum belohnt das Ensemble: großer Applaus, Bravos, Um­ziehen. Morgen früh geht es weiter …