WIR ERLEBEN DAS NOCH NIE ERLEBTE SEHR GEMEINSAM
Wir arbeiten an der größten Produktion der Spielzeit: „Mysterien. Ein großes Salzburger Welttheater“. Alle Kräfte, über die das Salzburger Landestheater verfügt, sind aufgeboten: Das Schauspiel- und Ballettensemble, Gesangssolist*innen, der Opernchor, das Mozarteumorchester, Mitglieder der Salzburger Bürgerbühne. Über 100 Personen auf der Bühne, dazu alle, deren Arbeit backstage, in den Werkstätten, den Büros und im Vertrieb das Ganze erst möglich machen. Ein gut vierstündiger Abend ist da in Vorbereitung – solche Projekte nehmen einen ganz ein, bestimmen den gesamten Tagesablauf, machen viel Arbeit – und enorme Freude.
Wie in einer Parallelwelt zu Haydns herrlicher „Schöpfung“ sehen wir gleichzeitig die Welle auf uns zukommen, ungläubig, zunächst, mehr und mehr gewärtig, dass wir uns mit Corona beschäftigen müssen. Während die Theaterleitung längst in engem Kontakt mit Politik und Gesundheitswesen ist, versucht man sich in der Kantine noch mit Witzen über Wasser zu halten. Ernsthaft denken wir an unsere Produktion „Die Pest“ von Camus, die wir vor ein paar Jahren so erfolgreich gespielt haben. Wie würde es sich anfühlen, wenn das Werk gerade jetzt auf dem Spielplan stünde, und auch, was war das entscheidend Wichtige an diesem Text? Der Glaube an das Weitermachen, die Hoffnung, an die Sinnhaftigkeit des Tuns.
Dann ist der Brenner zu und damit wird langsam allen klar, dass wir uns in unmittelbarer Nachbarschaft des Virus‘ befinden. Am Dienstag, den 10. März kommt im Lauf des Tages die Regierungsentscheidung, die Theater zu schließen. „Cyrano de Bergerac“ wollten wir spielen, die letzte Aufführung einer erfolgreichen Produktion.
Theaterleute können viel. Eines können wir gar nicht: Nicht spielen. Was reißen wir uns für Beine aus, wenn durch Krankheit, Streik, Wasserschaden eine Vorstellung in Gefahr ist. Auf was für verrückte Ideen kommen wir – der Tenor mit gebrochenem Bein steht an der Rampe und die Regieassistentin übernimmt in einem improvisierten Kostüm seine Positionen auf der Bühne, ein Kollege mit Textbuch in der Hand springt ein, wir erfinden innerhalb eines Tages ein Programm, um den Silvesterabend nicht ausfallen lassen zu müssen… Der „Lappen muss aufgehen“ – das ist das eiserne Theatergesetz, jahrzehnte-, jahrhundertelang genetisch weitergegeben. Jetzt bleibt er zu.
Die so in unseren Leben nie dagewesene Situation ist eingetreten: Wir streichen von einem Moment auf den anderen 34 Vorstellungen. Und damit auch die Premiere unseres Großprojektes am geplanten Termin, ein Symposium, kann das Gastspiel in Lindau gehalten werden? – Das wird sich erst in den kommenden Tagen erweisen.
Am Abend sagen wir den (wenigen) Gästen, die in der Kürze der Zeit nicht erreicht werden konnten, die Vorstellung ab. Dann ist es halb acht, der Biorhythmus steht auf Vorstellung. Und da ist keine. Das Haus gespenstisch leer, dunkel, leise.
Die Proben gehen weiter, am 3. April soll wieder gespielt werden können, ein Datum, das in den kommenden Tagen hoffentlich bestätigt wird, möglicherweise aber doch eher in Frage steht.
Eigentlich mag gerade niemand das Theater verlassen, es ist das künstlerische Zuhause und in dieser Krise fühlt es sich auch wie ein persönlicher Ankerpunkt an. Wir erleben das noch nie Erlebte sehr gemeinsam.
Friederike Bernau am 11. März 2020